1 AUSFÜHRLICHES INHALTLICHES KONZEPT

 

Buchtitel evozieren Bilder:


Digitale Demokratie"
"Metapher und Lebenswelt"
"Bochum: Blumen im Revier"
"Liebesgrüsse aus Hollywood"


Mit diesen Bildern, mit der darin enthaltenen Poesie arbeitet unser Beitrag. Einerseits findet er auf der Homepage der Universität Konstanz statt - im elektronischen Suchkatalog der Bibliothek. Wir nennen diesen Netzbeitrag die MAGISCHE BIBLIOTHEK. Andererseits wird der Kunstbeitrag im Anbau der Bibbliothek als Kunst am Bau öffentlich sichtbar. Die Buchtitel fliessen in Laufschriften durch das neue Gebäude. Diese Installation nennen wir TITELLAUF.


1.1 ELEKTRONISCHER SUCHKATALOG

Die Universitätsbibliothek Konstanz hat einen Bestand von eineinhalb Millionen Büchern. Jedes Buch hat einen Titel, der auf den Buchinhalt verweist. Früher haben die Bibliotheksbenutzer im Zettelkatalog unter dem jeweiligen Buchstaben nach dem Buch gesucht. Autorennamen und verschiedene Buchtitel sind so durch die Hände gegangen. Heute gibt man seine Stichworte im Online-Katalog der Bibliothek ein. Mehrere Autorennamen oder Buchtitel zu den Suchbegriffen werden angezeigt. Oftmals wird ein Titel angeklickt, der anspricht oder irritiert, der gewisse Assoziationen weckt, ohne dass man ihn gesucht hat.

Die Recherche und Bücherbestellung kann von zu Hause aus erfolgen. Der Bücherbestand ist in der Datenbank der Bibliothek abrufbar, also auf dem Internet einsehbar. Wenn der Bibliotheksbenutzer zu Hause ein Buch sucht, befindet er sich im elektronischen System der Bibliothek. Das Buch aber ist ausserhalb dieses Systems, in einem realen Büchergestell in einem der Gebäude der Bibliothek. Die Suche nach dem Buch erfolgt über allgemein anerkannte und für alle gleich verständliche Regeln. Man gibt Suchbegriffe ein, in der Hoffnung, dass der Datenbank die selben Begriffe zuvor auch gespiesen wurden. Der Benutzer nimmt also an, dass das System durch diese Suchbegriffe ihm relevante Informationen über das gesuchte Buch liefern kann, wie z. B. Titel, Autorennamen, Erscheinungsjahr oder Seitenumfang. Mit dieser für alle Benutzer selbstverständlichen Annahme, dass eine Kongruenz zwischen eingegebenem Stichwort und Suchabfrage im System besteht, funktioniert die Suche. Ausserhalb dieser gegebenen Übereinkunft ist ein Buch - obwohl in einem der Regale vorhanden - nicht auffindbar.

Die Suchkriterien für den Computer sind aber andere. Die elektronische Morphologie funktioniert auf der Ebene von bits und bytes. Der Computer hat keine semantische Bedeutungsgrundlage. Die Datenbank sucht nicht nach inhaltlichen Kriterien, sondern nach genau festgelegten Buchstabenfolgen, die für den Bibliotheksbenutzer einen inhaltlichen Sinn ergeben, dem Computer aber nur den elektronischen Pfad zu weiteren gespeicherten relevanten Informationen liefert.


1.2 MAGISCHE BIBLIOTHEK

Die MAGISCHE BIBLIOTHEK hat alle Buchtitel der Universitätsbibliothek gespeichert. Jeder Titel wurde aus seinem inhaltlichen Kontext herausgelöst, jede Verbindung zu Autor, Erscheinungsjahr oder Fachgebiet gekappt. Damit werden die Titel auch vom eigentlichen Buch gelöst. Die Buchtitel bleiben als blosse Verweise zurück, bekommen aber gerade deswegen eine besondere Bedeutung. Losgelöst vom Inhalt des Buches werden sie zu Botschaften, können als Aufforderungen, als Ausrufe verstanden werden. Sie bleiben als Mitteilungen, als Statements zurück, die wir mit unseren eigenen Assoziationen inhaltlich füllen:


Metapher und Lebenswelt"
Brain & body in sport and exercise"
Der Aspekt des Politischen in der frühen Lyrik"
Digitale Demokratie: Mythos oder Realität?"


Die Suche in der MAGISCHEN BIBLIOTHEK erfolgt ebenfalls über die eingegeben Suchbegriffe. Nur werden die Stichworte nicht als gesamte Buchstabenfolge übernommen, sondern in die einzelnen Buchstaben zerlegt. Das Suchprogramm sucht also nach den einzelnen Buchstaben in einem der gespeicherten Titel. Die Buchstaben bleiben zwar der Reihe nach geordnet, folgen sich aber nicht mehr streng hintereinander. Die Übereinkunft zwischen Nutzer und Suchsystem, dass Bücher durch Schlagworte gefunden werden können, muss neu definiert werden. Gesucht werden keine Bücher mehr, sondern nur deren Verweise - die Buchtitel. Die Suchaufforderung an das Suchsystem lautet: ‘Suche nach einer losen Folge der Buchstaben eines Suchbegriffes in einem Titel und zeige den an!’
Der so gefundene Titel, der auf ein Buch in der Bibliothek verweist, kann man im Online-Katalog durch Anklicken eines Linkes lesen. Goldene, nur teilweise sichtbare Lettern im Header, die einem Strichcode oder einer Hieroglyphe gleichen, machen durch Überfahren den Link zur MAGISCHEN BIBLIOTHEK sichtbar. Wird er angeklickt, zeigt sich im zusätzlich geöffneten Fenster der gefundene Titel. Ein Info-Button führt den User zu Informationen über den Kunstbeitrag. Jeder gefundene Buchtitel kommt in eine Warteschlaufe und erscheint bei gegebener Zeit im öffentlichen Raum der Bibliothek. Er fliesst in der Installation TITELLAUF über eine ganze Wand des neuen Anbaus der Bibliothek von oben nach unten.


 


1.3 DER NEUE BIBLIOTHEKSANBAU

Der neue Bibliothekstrakt wurde in die Ecke der bestehenden Bauten der Universität Konstanz eingefügt, wo zwei bestehende Aussenmauern die Innenseiten der neuen Bibliothek bilden konnten. Einerseits wurde der bestehende Bau im Westen geöffnet und die Bibliothek auf jeweils der selben Etagenhöhe im neuen Bau weitergeführt. Andererseits wurde die bestehende Aussenwand des Jura-Gebäudes im Süden als Trennung zum Bibliotheksbau geschlossen gehalten. Die Mauerbrüstungen in Sichbeton wurden nur lasiert, der Charakter einer Aussenwand wurde beibehalten. An diesem Ort befinden sich Treppe, Lift und Toilettenanlagen. Er ist Drehpunkt und Durchgangszone zwischen den Etagen und zwischen den zwei Bibliotheks-gebäuden. Ein freier Raum vor der Südwand zieht sich über alle Geschosse. Eine Art Licht- und Luftschacht, der mit vier opulent ausgebildeten Lüftungsrohren den, besonders durch die Regale stark in der Horizontalen gegliederte, Raum in die Vertikale aufbricht. In diesem Durchgangsbereich, wo kurzzeitig nicht sicher ist, ob man sich im Aussenbereich der bestehenden Bibliothek oder bereits im neuen Bibliotheksgebäude aufhält - an dieser Schnittstelle, wo Altes und Neues, Innen und Aussen, Oben und Unten miteinander verbunden wird, wollen wir die Installation TITELLAUF platzieren.



g  Ort der Installation TITELLAUF

 


1.4 TITELLAUF

LED-Laufschriften sind an der Südwand des neuen Bibliotheksanbaus angebracht. Diese ehemalige Aussenwand, die in der Etagenhöhe mit dem neuen Anbau nicht übereinstimmt, soll zwischen Innen und Aussen vermitteln. Buchtitel, die in der Bibliothek vorhanden sind und durch eingegebene Suchbegriffe in der MAGISCHEN BIBLIOTHEK gefunden wurden, fliessen an dieser Wand entlang hinunter, durch fünf Laufschriften gezogen, bis sie sich ganz verflüchtigt haben. Der Fluss der Buchstaben rinnt durch die Laufschfriften. Die flüchtige Botschaft taucht in der obersten Etage auf und fliesst hinunter im beständigen Lauf - als Metapher für Bewegung, Setzung und Austausch. Es tauchen Titel auf, die niemand gesucht hat, die vielleicht schon lange vergessen waren. Aufmerksamkeit wird weder dem originellsten, noch dem Lautesten gezollt. Die Stichwortwahl des Users und das Suchsystem mit seinem Zufallsalgorithmus sind gleicher-massen am sichtbaren Produkt betätigt. Die Leistung des Computers bleibt die des Rechners, der aus Bits und Bytes hervorholt, was irgendwann einmal mit Sinn verknüpft wurde.
Zusätzlich erreicht das Private am Bildschirm eine öffentliche Präsenz im Raum. Daten aus dem Netz werden sichtbar. Da keine Verknüpfung besteht mit dem wirklich gesuchten Buch des Bibliotheksbenutzers, gibt die Installation nichts Privates bekannt. Und doch beeinflusst jeder Benutzer den Kunstbeitrag. Damit bekommt die introspektive Tendenz des Internets eine äusserlich wahrnehmbare Präsenz.